Dr. med. Kai Störring
Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
Akupunktur, Neuraltherapie, Allergologie, Long Covid- Experte
Die Erinnerung überstandener Schmerzen ist Vergnügen
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Volkskrankheit Kopfschmerzen
Der folgende Artikel richtet sich an Patientinnen und Patienten, die sich
Eine der häufigsten Gründe für Arztkonsultationen sind Kopfschmerzen. 71% der Deutschen geben an, im Laufe ihres Lebens an Kopfschmerzen zu leiden. Kopfschmerzen bedeuten eine große Einbuße an Lebensqualität und der Arbeitsfähigkeit.(1)
Am häufigsten kommen primäre Kopfschmerzformen (primär= eine eigene Schmerzkrankheit darstellend) a) der Spannungskopfschmerz und die b) die Migräne vor. (2)
(Die sekundäre Kopfschmerzformen, die als Begleitsymptom anderer Grunderkrankungen auftreten, sind nicht Inhalt dieses Artikels.)
Damit Sie sich mit Ihren Kopfschmerzen wiederfinden, liebe Patientinnen und Patienten…
… wie lässt sich nun der jeweilige Kopfschmerz charakterisieren?
ad a) Spannungskopfschmerz
Er ist die häufigste Kopfschmerzart.
Der Schmerzcharakter ist dumpf- drückend.
Das Ausbreitungsgebiet ist meist beidseitig in der Scheitel-, Stirn oder Schläfenregion.
Auch der gesamte Kopf kann betroffen sein.
Viele Patientinnen und Patienten beschreiben die Kopfschmerzen derart, als würde ein zu enges Band um den Kopf gespannt sein oder als sei der Kopf in einem Schraubstock eingeklemmt.
Schmerzintensität: leicht bis mittel.
Verlauf: Chronifizierung möglich. Der chronische Spannungskopfschmerz entsteht in etwa 80% der Fälle aus einem zuvor episodischen Spannungskopfschmerz.
Der chronische Spannungskopfschmerz liegt definitionsgemäß dann vor, wenn es in 3 Monaten hintereinander an jeweils mindestens 15 Tagen im Monat zu Kopfschmerzen gekommen ist. (2)
ad b) Migräne
Der Schmerzcharakter ist pochend oder pulsierend.
Das Ausbreitungsgebiet ist einseitig.
Die Migräneattacke wird häufig von Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit begleitet.
Die Dauer einer Attacke reicht von wenigen Stunden bis zu 3 Tage. (2)
Aspekte der Therapie und deren Herausforderungen
Es ist allgemein bekannt, dass die Einnahme freiverkäuflicher Schmerzmittel (Analgetika) wie z.B. Acetylsalicylsäure(ASS), Ibuprofen und Paracetamol o.ä. zu einer raschen Besserung führen können, und deren Einnahme ist auch vollkommen berechtigt.
Eine unterschätzte Gefahr bei dauerhafter Anwendung von Kopfschmerztabletten ist jedoch, dass es zu einer Verschlimmerung der Kopfschmerzen kommen kann.
Dies gilt sowohl für die „klassischen“, oben angegebenen Schmerzmittel als auch für spezielle Migränemittel (Ergotamine und Triptane).
Patienten, die an mehr als 15 Tagen im Monat ein einfaches Schmerzmittel nehmen oder an 10 Tagen ein Triptan, ein Opiat oder ein Kombipräparat (zum Beispiel mit ASS, Paracetamol und Koffein), laufen Gefahr, solch einen Kopfschmerz zu entwickeln. Man bezeichnet ihn als medikamenten-induzierten (Dauer)Kopfschmerz.
Die leidvolle Erfahrung, die die Patientinnen und Patienten nun mit den Kopfschmerzen haben, sorgt dafür, dass sich eine Angst vor dem Schmerz etabliert, so dass die Schmerzmittel immer früher und in immer höherer Dosierung genommen werden. (3)
Geraten Sie also am besten erst gar nicht in diesen unheilvollen Mechanismus der Verstärkung aus Substanzgebrauch und Kopfschmerzen.
Denn dann ist oftmals eine stationäre Behandlung notwendig, denn bei dem dann notwendigen Absetzen der Medikamente kommt es häufig zu einem erheblichen Rebound- Kopfschmerz (Entzugs- Kopfschmerz).
Einen hohen Stellenwert in der Behandlung und Prävention (Vorbeugung) sowohl von Spannungskopfschmerzen als auch Migräne haben nicht-medikamentöse Verfahren, zu der allerdings laut einer aktuellen Repräsentativbefragung der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) nur 43% der Kopfschmerzpatienten beim Arztbesuch beraten werden.
So sollten v.a. die leicht erlernbare progressive Muskelrelaxation nach Jacobson (PMR) und das autogene Training Einzug in die Beratungspraxis von Kopfschmerzpatienten haben. (4)
Die integrative Medizin, eine auf Evidenz (Wirksamkeitsbelegen) basierende Symbiose zwischen der Komplementärmedizin und der konventionellen Medizin, erfreut sich auch in der Wissenschaft zunehmender Beliebtheit (4) und wird auch von den Patienten mehr und mehr nachgefragt- dies auch in meiner täglichen ärztlichen Arbeit.
Seit 10 Jahren wende ich die Akupunktur als alleinige oder Bestandteil einer integrativen Therapie an.
Bei a) Spannungskopfschmerzen deutet die verfügbare Evidenz darauf hin, dass eine Akupunkturbehandlung eine gute Behandlungsmöglichkeit ist.
Wissenschaftliche interessierte Patienten können sich Fazit, Hintergrund und Hauptergebnisse dieses 12 Studien mit 2349 Erwachsenen umfassenden Reviews gerne durchlesen, das in der Cochrane Library der neutralen Institution Cochrane Collaboration (s. Glossar) verfügbar ist. (5)
b) Migräne
Die Effektivität von Akupunktur in der Prophylaxe von Migräneattacken ist gut untersucht.
Auch hier gibt es wissenschaftliche Reviews (systematic reviews) auf hohem Niveau, die es in die Cochrane-Bibliothek „geschafft“ und gezeigt haben, dass es eine statistische Überlegenheit von Akupunktur in Studien mit Wartelistendesign, gegenüber Schein-Akupunktur (oberflächliche Akupunktur <3mm Einstich) und kurzfristig auch gegenüber prophylaktischer Pharmakotherapie besteht (6). Längerfristig scheint Akupunktur bei weniger Nebenwirkungen der pharmakologischen Prophylaxe zumindest nicht signifikant unterlegen zu sein (7,8).
Die Akupunktur sollte zur Prophylaxe von Migräne einen festen Platz haben, wenn Patientinnen und Patienten dies wünschen.
Literatur :
1. Schmerzklinik Kiel, Weltkopfschmerztag 2020- Kopfschmerzen und Migräne: Fakten
2. Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG), Therapie des Spannungskopfschmerzes, Klinisches Bild des Spannungskopfschmerzes
3. aus: Göbel, H (2002) Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne, Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen, Kapitel 7, Seiten 295- 314, Springer-Verlag
4. aus: Phytokompass Ausgabe 3/2020, Naturmedizin: Evidenz in der Schmerztherapie, siehe Infobox Migräne: Hoher Stellenwert nicht medikamentöser Verfahren
5. Cochrane Collaboration, Cochrane Library, Linde K, Allais G, Brinkhaus B, Fei Y, Mehring M, Shin B-C, Vickers A, White AR (2016), Akupunktur bei Spannungskopfschmerzen
6. Cochrane Database Syst Rev6:CD1218. Linde K, Allais G, Brinkhaus B, Fei Y, Mehring M, Vertosick EA, Vickers A, White AR (2016): Acupuncture for the prevention of episodic migraine.
7. Med Acupunct 31(2): 85-97, Trinh KV, Diep D, Chen KJQ(2019), Systematic review of episodic migraine prophylaxis: efficacy of conventional treatments used in comparisons with acupuncture
8. J Neurol 267(1):14-25, Chen YY, Li J, Chen M, Yue L, She TW, Zheng H (2020): Acupuncture versus propranolol in migraine prophylaxis: an indirect treatment comparison meta-analysis
Glossar:
Cochrane Collaboration: Cochrane, auch unter dem Namen Cochrane Collaboration bekannt, ist ein globales, unabhängiges Netzwerk aus Wissenschaftlern, Ärzten, Angehörigen der Gesundheitsfachberufe, Patienten und weiteren an Gesundheitsfragen interessierten Personen. Sie finanziert sich durch Einnahmen aus der Cochrane Library und anderen Cochrane Produkten sowie durch Unterstützung von nationalen Regierungen, internationalen Regierungs- und Nichtregierungs-Organisationen, Universitäten, Kliniken, privater Förderung und persönlichen Spenden. Zur Gewährleistung der wissenschaftlichen Unabhängigkeit hat Cochrane strenge Prinzipien und Regeln für die kommerzielle Förderung und den Umgang mit Interessenkonflikten.
Zu diesen gehört unter anderem, dass Cochrane keine kommerzielle Förderung von der pharmazeutischen oder medizinischen Industrie oder von anderen mit den Interessen von Cochrane in Konflikt stehenden Quellen akzeptiert. (siehe auch Cochrane (Organisation), Finanzierung, Förderung und Partner unter www.wikipedia.org)
Evidenz. Dieser kommt aus dem Englischen (evidence) und bedeutet „Nachweis, Beweis“. In der Medizin werden die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien als Beweis für oder gegen den Nutzen einer medizinischen Methode verwendet. (siehe auch Bewertungsgrundlagen, Evidenzbasierte Medizin unter www.g-ba.de)
systematic reviews (oder schlicht review). Es handelt sich hierbei um eine systematische Übersichtsarbeit in Form einer Literaturübersicht, die zu einem bestimmten Thema durch geeignete Methoden versucht, alles verfügbare Wissen zu sammeln, zusammenzufassen und kritisch zu bewerten. Grundlage jeder Übersichtsarbeit ist die bereits publizierte Fachliteratur ( siehe auch Systematische Übersichtsarbeit unter www.wikipedia.org)
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